April 2025

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Warum Autoimmunerkrankungen erneut entflammen können

Manche Immunzellen können sich der Therapie von Autoimmunerkrankungen entziehen, indem sie sich „unsichtbar“ machen. Forschende sind ihnen dennoch auf die Spur gekommen – und entdeckten so eine neue Ansatzstelle für die Behandlung.

Eine Person steht hinter einer Gehilfe und hält sich daran fest

Ein Problem bei entzündlichen Erkrankungen wie Rheuma und Multipler Sklerose: Immunzellen „im Ruhezustand“ können sich der Therapie entziehen – und die Erkrankung zu einem späteren Zeitpunkt wieder neu entfachen.

chartphoto/Adobe Stock

Rheuma, Multiple Sklerose, Typ-1-Diabetes – sie zählen zu den Autoimmunerkrankungen, an denen rund sechs Millionen Menschen in Deutschland leiden. Auch wenn diese Erkrankungen sich in ihrer Symptomatik stark voneinander unterscheiden, ist ihnen eines gemeinsam: Hervorgerufen werden sie durch einen Fehler bei der Immunantwort, der dazu führt, dass körpereigene Strukturen als „fremd“ eingestuft und attackiert werden.

„Die Wissenschaft ist lange davon ausgegangen, dass diese krankmachenden Immunzellen dauerhaft aktiv sind – dass sie Entzündungsprozesse befeuern und fortlaufend weitere Zellen rekrutieren“, erläutert Professor Dr. Alexander Scheffold, Direktor des Instituts für Immunologie des Universitätsklinikums Schleswig-Holsteins. „Wir konnten jetzt aber zeigen, dass dem nicht so ist. Ein Teil der Zellen wechselt vielmehr in einen ruhenden Zustand, den wir auch als •exhausted•, erschöpft, bezeichnen. In diesem Zustand zirkulieren die Zellen teilweise jahrelang im Blut.“

Therapeutische Ansatzpunkte gegen Zellen im „Ruhezustand“

Das wirkt sich auch auf den Behandlungserfolg aus, denn die bislang verfügbaren Therapieansätze zielen darauf ab, das überreaktive Immunsystem zu unterdrücken. Ruhende Zellen sind für diesen Ansatz unsichtbar: So entgehen sie der Therapie und überleben − bis sie zu einem späteren Zeitpunkt durch Infektionen oder äußere Einflüsse wieder aktiviert werden und die Erkrankung neu entfachen.

„Unsere Beobachtungen erklären, warum die derzeitigen Therapien keinen dauerhaften Schutz bieten – und viele Patientinnen und Patienten Rückfälle erleiden“, erklärt Professor Dr. Frank Leypoldt, Oberarzt im Institut für Klinische Chemie (Kiel/Lübeck) und der Klinik für Neurologie (Kiel) des Universitätsklinikums Schleswig-Holsteins. „Aber: Sie eröffnen auch Ansatzpunkte für neue, gezieltere Optionen. Therapien beispielsweise, die auf die ruhenden Zellen ausgerichtet sind und diese selektiv angreifen.“ Auch die gezielte Reaktivierung der Immunzellen ist nach Ansicht des Neuroimmunologen eine vielversprechende Option – ein Ansatzpunkt, der in der Krebsmedizin bereits eingesetzt wird. Hier werden ruhende Immunzellen aktiviert, um gegen Tumore anzukämpfen.

Gemeinsam mit Professor Dr. Friedemann Paul von der Berliner Charité leiteten die Kieler Immunologen Scheffold und Leypoldt die interdisziplinären Forschungsarbeiten, an der auch zahlreiche weitere Mitglieder des Exzellenzclusters „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) beteiligt waren. Das PMI-Cluster wird von 2019 bis 2025 über die Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder gefördert und folgt auf den Cluster Entzündungsforschung „Inflammation at Interfaces“.

Erforschung Seltener Erkrankungen

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt die Erforschung der Seltenen Erkrankungen seit 2003 mit erheblichen finanziellen Anstrengungen: So wurden 144 Millionen Euro in nationale Forschungsverbünde investiert, die sich sowohl der Grundlagenforschung als auch der klinischen Forschung widmen. Eine aktuelle Förderrichtlinie hat bereits bestehenden Verbünden die Möglichkeit eröffnet, für weitere drei Jahre Fördergelder zu erhalten. Hier werden neun Verbünde von 2022 bis 2026 mit rund 21,5 Millionen Euro gefördert.

Die Stärkung der internationalen Zusammenarbeit ist gerade bei der Erforschung Seltener Erkrankungen von hoher Bedeutung: Dank höherer Patientenzahlen sowie gemeinsam genutzter Ressourcen und Infrastrukturen lassen sich validere Erkenntnisse gewinnen. Daher beteiligten sich das BMBF und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) an dem von 2019 bis 2024 von der EU geförderten European Joint Programme on Rare Diseases (EJP RD). Hier wurden 65 internationale Projekte mit über 100 Millionen Euro gefördert, an denen sich das BMBF mit 15 Millionen Euro beteiligte. Diese Zusammenarbeit wird nun innerhalb der European Rare Diseases Research Alliance (ERDERA) fortgesetzt und weiter ausgebaut. Insgesamt 178 verschiedene Organisationen aus 37 Ländern haben sich zum Ziel gesetzt, die Gesundheit und das Wohlbefinden von Menschen mit Seltenen Erkrankungen zu verbessern. Darüber hinaus beteiligt sich das BMBF am International Rare Diseases Research Consortium (IRDiRC).

Weitere Informationen:
www.erdera.org
ww.research4rare.de
www.ejprarediseases.org
www.irdirc.org

Grundlegende Erkenntnisse dank der Erforschung Seltener Erkrankungen

Die aktuellen Beobachtungen bauen auf Erkenntnissen auf, die nur dank der Erforschung seltener Autoimmunerkrankungen gewonnen wurden – denn diese ermöglichen Einblicke in grundlegende Krankheitsmechanismen auch von weit häufigeren Erkrankungen.

Der Fokus der Forschungsarbeiten von Scheffold, Leypoldt und ihren Teams lag in der aktuellen Arbeit auf den Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (kurz NMOSD), einer seltenen Gruppe von schweren Autoimmunerkrankungen des zentralen Nervensystems. Das Team des internationalen Forschungsverbundes AspecTNMO unter Leitung von Frank Scheffold entwickelte unter anderem auch die Methode, mit der sich in der großen Menge verschiedener Immunzellen im Blut gezielt die seltenen autoreaktiven Immunzellen anreichern und analysieren lassen – und damit auch die Zellen im ruhenden Zustand beobachtet werden können. Den Verbund förderte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) über das europäische Programm EJP RD (European Joint Programme on Rare Diseases).

Professor Dr. Frank Leypoldt

Professor Dr. Frank Leypoldt

privat

Professor Dr. Alexander Scheffold

Professor Dr. Alexander Scheffold

CAU, Kiel

Allerdings erforschen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des von Leypoldt geleiteten und durch das BMBF geförderten Forschungsverbunds CONNECT-GENERATE nicht nur die NMOSD, sondern auch die autoimmune Enzephalitis, eine seltene, aber behandelbare Form der Hirnhautentzündung. Die aktuelle Arbeit konnte nur durch die klinisch-wissenschaftliche Interaktion der Verbünde CONNECT-GENERATE und AspectNMO und ihrer Mitglieder umgesetzt werden. „Im nächsten Schritt möchten wir nun untersuchen, bei welchen anderen Entzündungserkrankungen wir ebenfalls Immunzellen im ruhenden Zustand finden, um besser verstehen zu können, was den verschiedenen Erkrankungen jeweils zugrunde liegt. Dies scheint bei einigen autoimmunen Enzephalitiden, autoimmunen Nervenentzündungen und weiteren organspezifischen Autoimmunerkrankungen in der Tat der Fall zu sein. Daher ist eine spezifische Therapie der jeweiligen Krankheitsursachen in verschiedenen Organsystemen im Sinne einer echten Präzisionsmedizin möglich“, fassen Scheffold und Leypoldt zusammen.

Originalpublikation:
Saggau, C., Leypoldt, F., Scheffold, A., et al. (2024): Autoantigen-specific CD4+ T cells acquire an exhausted phenotype and persist in human antigen-specific autoimmune diseases. Immunity, Vol 57, Issue 10, Oct. 2024. DOI: 10.1016/j.immuni.2024.08.005

Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Frank Leypoldt
Facharzt für Neurologie und Laboratoriumsmedizin
Institut für Klinische Chemie und Klinik für Neurologie
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
Arnold-Heller-Straße 2
24105 Kiel
Frank.Leypoldt@uksh.de

Prof. Dr. rer. nat. Alexander Scheffold
Direktor des Instituts für Immunologie
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
Arnold-Heller-Straße 3
Haus U30 (Michaelisstraße 5)
24105 Kiel
Alexander.Scheffold@uksh.de