April 2025

| Newsletter 117

Mehr Planungssicherheit im Kampf gegen schwere Infektionen

Lassen sich schwere Infektionswellen voraussehen? Das Forschungsteam von RESPINOW entwickelt Modelle, die den Verlauf von Atemwegserkrankungen wie RSV simulieren können. Das soll die Prävention verbessern und Engpässe in Kliniken künftig vermeiden.

Ein Kleinkind mit Beatmungsmaske in den Armen einer Frau

Im ersten Winter nach der SARS-CoV-2-Pandemie kam es zu unerwartet heftigen Wellen von RSV-Infektionen, die vor allem Babys und Kleinkinder betrafen.

komokvm/Adobe Stock

Der Winter 2021 brachte viele Kinderkliniken an ihre Belastungsgrenzen. Auf den Intensivstationen kämpften zahlreiche kleine Patientinnen und Patienten gegen das Respiratorische Synzytial-Virus, kurz RSV. Vor allem bei Babys und Kleinkindern kann das Virus zu schweren Atemwegserkrankungen führen. RSV ist ein weit verbreitetes Virus, das insbesondere in den Wintermonaten zirkuliert und schwere Lungenentzündungen verursachen kann. Während der SARS-CoV-2-Pandemie hatten Maskenpflicht und Kontaktbeschränkungen dafür gesorgt, dass weniger Säuglinge damit in Berührung kamen. So traf das Virus nach den Lockerungen der Maßnahmen auf eine deutlich größere Anzahl von Kindern ohne Immunschutz.

„Da haben sich zwei Jahrgänge von Neugeborenen gleichzeitig zum ersten Mal mit RSV angesteckt“, erklärt Dr. Berit Lange vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. Sie leitet den Forschungsverbund RESPINOW, den das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Modellierungsnetzes für schwere Infektionskrankheiten (MONID) fördert. Die Forschenden entwickeln Modelle, die den Verlauf von Atemwegsinfektionen wie RSV präziser vorhersagen können. Diese Prognosen sollen Krankenhäusern und dem öffentlichen Gesundheitssystem künftig dabei helfen, ihre Kapazitäten vorausschauender zu planen und Engpässe in schweren Erkältungssaisons zu verhindern.

Ungewöhnlich frühe RSV-Welle im Winter 2021

So konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeigen, dass die RSV-Welle von 2021 nur der Anfang einer neuen Dynamik war. Dabei kam es nicht nur zu einem Anstieg der Infektionen. „Vor der SARS-CoV-2-Pandemie erreichte die RSV-Saison ihren Höhepunkt meist im Januar oder Februar“, sagt Lange. „In den Jahren danach hat die erste Krankheitswelle schon im Herbst und damit deutlich früher begonnen.“ In ihren Szenarien für den Winter 2024/2025 stützten die Forschenden im Vorfeld bereits die Annahme, dass sich die Lage inzwischen wieder weitgehend der vorpandemischen Situation angenähert hat. „Eine wichtige Rolle spielt natürlich auch, dass es inzwischen eine Impfempfehlung für gefährdete Gruppen gibt“, so Lange, die selbst zum Expertengremium der Ständigen Impfkommission gehört. Die Forschenden lassen daher auch Daten zu Impfungen oder Antikörpertherapien in ihre Modelle einfließen, um deren Wirkung auf die Krankheitslast zu simulieren.

Modelle bilden kurz- und langfristige Szenarien ab

Bei der Modellentwicklung kombinieren die Forschenden verschiedene Methoden und Quellen. Die Grundlage bilden Bevölkerungsstudien. Sie liefern Daten darüber, wie sich bestimmte Erreger in unterschiedlichen Altersgruppen verbreiten. Dabei werden auch Personen erfasst, die nur milde Symptome zeigen. „Das ist entscheidend, weil diese Gruppe eine zentrale Rolle bei der Verbreitung des Virus spielt“, betont Lange. Diese Daten werden in Szenarienmodelle eingespeist, die mögliche Verläufe über eine gesamte Saison abbilden. Gleichzeitig kommen sogenannte Now-Casting-Methoden zum Einsatz, die aktuelle Entwicklungen nahezu in Echtzeit erfassen. „Unsere Modelle sind so gestaltet, dass sie sowohl langfristige Szenarien als auch kurzfristige Vorhersagen liefern können“, so Lange.

Gebündeltes Wissen über die Ausbreitung von Infektionskrankheiten

Modellrechnungen können enorm helfen, wenn es darum geht, die Entwicklung einer Pandemie vorherzusagen. Das hat die SARS-CoV-2-Pandemie gezeigt. Mit dem Modellierungsnetz für schwere Infektionskrankheiten (MONID) stärkt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die Modellierungskompetenz in Deutschland. Dafür werden Forschende mit dem Schwerpunkt Modellierung untereinander und mit anderen relevanten Fachdisziplinen wie Virologie und Epidemiologie vernetzt. Das Modellierungsnetz trägt damit zur Pandemievorsorge bei. Das BMBF fördert das Netz mit sieben Forschungsverbünden, darunter RESPINOW, seit 2022 mit mehr als 17 Millionen Euro. Eine weitere Förderrunde mit Erweiterung des Spektrums über Atemwegsinfektionen hinaus ist bereits in Vorbereitung.

Direkter Transfer in die Praxis

Zudem hat das Projektteam eine zentrale Plattform etabliert, die die Forschungsergebnisse öffentlich zugänglich macht. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die enge Zusammenarbeit mit Public-Health-Akteuren wie dem Robert Koch-Institut. Die zentrale Institution der Bundesregierung für die Krankheitsüberwachung und -prävention ist Teil des Forschungsverbunds, der insgesamt aus zehn Partnern besteht. „Es war uns von Anfang an wichtig, dass die Ergebnisse unserer Modellierungen direkt in die Praxis einfließen“, sagt Lange. ​

Bisher haben sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf Vorhersagen für ganz Deutschland konzentriert. Dabei arbeiten sie bereits eng mit dem Team Impfmodellierung am Robert Koch-Institut zusammen. Künftig wollen sie auch auf regionale Besonderheiten eingehen. Hierfür plant das Forschungsteam eine Kooperation mit dem niedersächsischen Landesgesundheitsamt. „Unser Ziel ist es, Gesundheitsämter und Kliniken in spezifischen Regionen mit passgenauen Prognosen zu unterstützen“, erklärt Lange. Solche regionalspezifischen Szenarien helfen einzuschätzen, wie sich ein Erreger in einem bestimmten Bundesland oder in einem einzelnen Landkreis ausbreiten wird. „Dies würde eine noch gezieltere Planung von Ressourcen ermöglichen – ein entscheidender Schritt, um die Modelle noch näher an die Praxis zu bringen“, sagt Lange.

Besser vorbereitet auf die nächste Pandemie

Die Modelle sollen dabei nicht nur zu einer verlässlicheren Einschätzung des Infektionsgeschehens, sondern auch zu wirkungsvolleren Präventionsstrategien beitragen. Ein Beispiel ist die Entwicklung von Impfempfehlungen. „Um beurteilen zu können, wie eine Impfung in verschiedenen Altersgruppen sich auf die Krankheitslast auswirkt, braucht es Modelle wie unsere“, erklärt Lange. Zugleich liefert das Projekt wichtige Erkenntnisse für die Zeit während und nach Pandemien. Maßnahmen wie Lockdown oder Maskenpflicht können zwar die Verbreitung gefährlicher Erreger ausbremsen. Sie können aber auch dazu führen, dass Infektionswellen mit bestimmten Erregern sich im Anschluss verstärken, wie das Beispiel RSV gezeigt hat.

„Unsere Modelle helfen, solche Entwicklungen besser einschätzen zu können und damit auf den Pandemiefall künftig besser vorbereitet zu sein“, sagt Lange. Die Epidemiologin hat dabei schon einen Erreger-Kandidaten im Blick: „Im vergangenen Jahrhundert gab es vier Influenza-Pandemien, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich ein solches Ereignis wiederholt.“ Die Forschenden sind bereits gewappnet: Ihre Modelle kommen schon heute auch bei der Simulation von Grippewellen zum Einsatz.

Ansprechpartnerin:
Dr. Berit Lange
Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung
Campus Braunschweig
Inhoffenstraße 7
38124 Braunschweig
Tel.: 05531 6181-3110
berit.lange@helmholtz-hzi.de