Februar 2025

| Newsletter Spezial

Das erste Medikament gegen Hepatitis D

Forschungserfolge brauchen manchmal viel Zeit. Im Falle von Bulevirtide – des weltweit ersten Wirkstoffs gegen die Infektionskrankheit Hepatitis D – waren es rund 25 Jahre.

Grafik einer Leberzelle mit und ohne Therapie

Der Wirkstoff (rot) blockiert den Rezeptor (dunkelgrün), mit dem die Viren (hellgrün) in die Leberzellen gelangen.

BMBF

Das 2020 von der Europäischen Kommission erstmalig zugelassene Medikament Hepcludex auf Basis des Wirkstoffs Bulevirtide ist ein sogenannter Entry-Inhibitor. Der Wirkstoff blockiert die Andockstellen des Hepatitis-D-Virus auf der Oberfläche der Leberzellen. Leberzellen können sich, wenn die Leber sich regeneriert, schnell teilen. Das Medikament schützt die sich neu bildenden Leberzellen vor einer Infektion, während befallene Zellen absterben. So dämmt Hepcludex den Virusbefall des Organs ein. So einfach dieses Prinzip ist, so langwierig und verschlungen war der Weg zum Medikament: Er führte auf Umwegen über die Forschung an Enten zum Menschen und erreichte sein Ziel mithilfe neuer Methoden, die erst während der Forschungsarbeiten entstanden.

Portrait von Professor Dr. Stephan Urban

Professor Dr. Stephan Urban

Universitätsklinikum Heidelberg

Von der Grundlagenforschung bis zur Marktreife

Dr. Stephan Urban, Professor am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) im Universitätsklinikum Heidelberg, hatte mit der Entdeckung der viralen Andockstelle die Entwicklung des Wirkstoffs ermöglicht. Solche Erfolge sind aber nicht nur eine Frage des wissenschaftlich Machbaren, sondern auch eine der Finanzierung. Insbesondere beim Übergang von der Grundlagenforschung in die erste klinische Anwendung am Menschen droht vielversprechenden Projekten das Aus, wenn sie keine Geldgeber finden. „Dabei geht es schnell um mehrere Millionen Euro. Das Risiko, dass bei einem solchen, klinisch orientierten Forschungsprojekt auch etwas schiefgehen kann, wollen viele Investoren nicht tragen“, sagt Urban. In dieser kritischen Phase spielt die Förderung der öffentlichen Hand eine wichtige Rolle. Sie kann es den Forschenden ermöglichen, aussichtsreiche Projekte von besonders hoher Relevanz für die Versorgung so weit voranzutreiben, dass Geldgeber aus der Industrie ihr Potenzial erkennen und die Projekte dann lizensieren und weiterfinanzieren.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) förderte im Rahmen der Ausschreibung „Innovative Therapieverfahren“ Urbans Arbeiten zur Entwicklung des Hepatitis-D-Wirkstoffs mit 2,4 Millionen Euro. Auch das DZIF – zu 90 Prozent vom BMBF finanziert – unterstützte nach seiner Gründung im Jahr 2012 Urbans Forschung an der Medizinischen Fakultät Heidelberg. Zusammen mit einem Start-up-Unternehmen erfolgte dann die Weiterentwicklung in mehreren klinischen Studien an Patientinnen und Patienten. Die Untersuchungen bestätigten die sehr gute Verträglichkeit von Hepcludex. Sie zeigten eine rasche Normalisierung sowohl der Leberwerte als auch der Viruslast in der Leber und führten zu einem Rückgang der Leberschädigung. Im Dezember 2020 übernahm das US-amerikanische Pharmaunternehmen Gilead die Lizenzrechte und den weltweiten Vertrieb von Hepcludex.

Mit Enten fing es an: Die Entdeckung des Rezeptors

Als Urban Mitte der 1990er-Jahre seine Forschung begann, hatte er zunächst das Hepatitis-B-Virus (HBV) im Visier. Er wollte herausfinden, wie die Viren es schaffen, gezielt und effektiv Leberzellen zu befallen. Das humane Hepatitis-B-Virus zu erforschen, war mit den damaligen Methoden praktisch unmöglich. Und so arbeitete Urban mit einem vergleichbaren Hepatitis-Virus aus dem Tierreich und dessen Wirt, der Pekingente. Dass er dafür eine kleine Geflügelzucht aufbauen musste, hat seiner Forschung „einen etwas kuriosen Charakter verliehen“, so Urban. Mithilfe der Enten fand er heraus, wie der erste Schritt der Infektion abläuft und wie man ihn mithilfe eines Peptides aus der Virushülle inhibieren kann: Der Vorläufer von Hepcludex/Bulevirtide wurde also in Pekingenten gefunden.

Ich war immer überzeugt von dem Konzept des Wirkstoffs, auch als viele nicht daran glaubten.
 

Professor Dr. Stephan Urban

Schlüssel und Schloss zum Erfolg

Kleine Abschnitte des viralen Proteins und des vom Virus zweckentfremdeten Rezeptors auf der Leberzelle passen wie Schlüssel und Schloss ineinander. Den Bart des viralen Schlüssels – eine kurze Peptidkette – baute Urban chemisch im Labor nach. Wenn er den Vögeln zuerst dieses Peptid und dann das Virus injizierte, waren sie vor einer Infektion geschützt: Das Peptid blockierte die Andockstellen des Virus. „Stellen Sie sich eine Haustür vor. Wir haben den Bart des Schlüssels abgebrochen und ihn ins Schloss gesteckt. Das macht die Tür unbrauchbar – das Virus kann nicht mehr eindringen“, so Urban.

An diesem Punkt wechselte Urbans Forschung die Richtung – von der Grundlagenforschung zur möglichen Anwendung. Taugte der abgebrochene Schlüssel zum Medikament? Was in der Ente funktionierte, musste nun an menschlichen Zellen erprobt werden. Dafür stellte Urban zunächst die passenden „Peptid-Schlüssel“ des humanen Hepatitis-B-Virus her. Dessen Wirkung auf menschliche Zellen und Viren testete er in einem Mausmodell, das Forscherinnen und Forscher am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf entwickelt hatten. Aufgrund eines Immundefekts stießen die Nager implantierte menschliche Leberzellen nicht ab, sondern bauten sie in ihre Leber ein. Diese Mäuse wurden mit menschlichen Hepatitis-B-Viren infiziert und die Wirkung des Peptids überprüft. Mit Erfolg. Schon geringe Dosen schützten die Tiere vollständig vor einer Infektion. Anders als bei der Ente gibt es beim Menschen das Hepatitis-D-Virus. Und dieses nutzt die Hüllproteine des Hepatitis-B-Virus, um in die Leber einzudringen. Demgemäß sollte das Peptid auch gegen HDV schützen, was tatsächlich der Fall war.

Die Ergebnisse aus den Tiermodellen machten den Weg frei für klinische Studien und die ersten Tests am Menschen. Auch das funktionierte: Das Peptid war verträglich, hemmte die Vermehrung der Viren und verbesserte die Leberfunktion erkrankter Personen. Es erfolgte die Zulassung als Medikament.

Therapeutisches Potenzial weiter erforschen

Nach der Zulassung ist Hepcludex mittlerweile in vielen europäischen Ländern verfügbar und „Standard of Care“ für die HDV-Therapie geworden. Mehr als 6.000 Menschen profitieren mittlerweile davon und diese Zahl steigt täglich. Allerdings müssen die Patientinnen und Patienten das Medikament zurzeit noch dauerhaft einnehmen. „Wie lange eine Therapie dauert und wann man das Medikament absetzen kann, wissen wir erst nach der Beendigung von derzeit noch laufenden Langzeitstudien“, so Urban. Es gibt aber Hoffnung: In einer kürzlich veröffentlichten Studie zeigte sich, dass eine Kombination von Hepcludex mit Interferon-alpha in 46 Prozent der Fälle nach zwei Jahren Therapie zur Elimination des Virus führen kann und die Patienten möglicherweise geheilt sind.

Hepatitis

Hepatitis D ist eine Entzündung der Leber, hervorgerufen durch das Hepatitis-D-Virus (HDV). Die Erkrankung tritt nur gemeinsam mit dem Hepatitis-B-Virus auf. HDV kann zwar eine Zelle infizieren, sich ohne Hilfe des B-Virus aber nicht verbreiten. Viel öfter und schneller als das B-Virus alleine verursacht es Leberzirrhose und Leberkrebs. Weltweit leiden mindestens zwölf Millionen Menschen an chronischer Hepatitis D. Genauere Zahlen kennt man nicht, da die Verbreitung des Virus in vielen – vor allem ärmeren Ländern – noch wenig erforscht ist.

An chronischer Hepatitis B leiden weltweit etwa 300 Millionen Menschen. Davon sterben jährlich bis zu einer Million an der Erkrankung. Die Viren werden durch Blut/Serum übertragen, aber auch während der Geburt von der Mutter auf das Kind. Deshalb ist ein Impfschutz wichtig. Hepatitis B kann bereits gut mit antiviralen Medikamenten behandelt, aber noch nicht geheilt werden. Hepcludex wirkt auch gegen Hepatitis B, ist jedoch zunächst nur zur Therapie von Hepatitis D zugelassen. Es gibt weitere infektiöse Formen von Hepatitis-Viren: Hepatitis-A- und -E-Viren werden über die Nahrung und kontaminiertes Trinkwasser übertragen. Sie lösen eine akute Leberentzündung aus, die aber nicht chronisch wird und häufig spontan ausheilt. Eine Hepatitis C hingegen wird wie HBV/HDV über das Blut übertragen, so beispielsweise über verunreinigte Spritzen bei Drogenabhängigen. Eine Infektion verläuft chronisch, ist aber bereits seit einigen Jahren medikamentös heilbar.